Wann hat man mal die Gelegenheit, seine eigene Mannschaft gezielt und mit besten Absichten aufs Glatteis zu führen? Erstaunlich häufig, stellt man nach etwas Recherche fest, allerdings nicht in unseren Breitengraden. Was in Kanada und China bereits seit mehreren Jahren regelmäßig und vor großem Publikum stattfindet, hat dieses Jahr zum ersten Mal in Norditalien Einzug gehalten. Die Rede ist von Eisdrachenbootrennen, einem noch jungen Sport, der dennoch bereits einen internationalen Verband hat und als mögliche Demosportart bei der Winterolympiade 2026 in Mailand vielleicht die Gelegenheit bekommen wird, einen noch größeren Bekanntheitsgrad zu erlangen. Der auf knapp 1.800 m Höhe gelegene Misurinasee in den Dolomiten war für ein Wochenende im Februar die Kulisse für diese eindrucksvolle Premiere.
Für die FKV Dragonauten war das Paddeln auf Eis eine neue Erfahrung, wobei das Wort Paddeln in diesem Fall weder das Hilfswerkzeug noch die Tätigkeit richtig beschreibt. Vielmehr schiebt man sich mithilfe eines Stocks, an dessen unterem Ende sich Spikes befinden, vorwärts über das Eis, eine Bewegung nachahmend, die man eher beim Skilanglauf vermuten würde. So wurde uns beim Team Captains Meeting am Samstagmorgen erklärt, dass der Stock auf Höhe der eigenen Hüfte zum Boden geführt wird, man dann sein Körpergewicht darauf verlagert und sich nach vorne abstößt. Klingt simpel, geht aber gegen alles, was man als Drachenbootpaddler gelernt hat, und genau aus diesem Grund taten wir uns mit dieser Technik auch ziemlich schwer. Wer sie vom Start weg gut beherrschte, waren die Eisdrachenbootweltmeister aus Ungarn, gegen die wir an diesem Wochenende mehrmals antreten sollten.
Aber von vorne. Zuerst ging es damit los, dass unser Mixed Team von der Regattaorganisation fälschlich als Damen-Team einsortiert worden waren, ein Fehler, der sich schnell klären ließ, aber trotzdem fuhren wir alle unsere Vorläufe außerhalb der Wertung gegen diverse Damen-Teams aus Irland und Italien. Dies war auch dem Umstand geschuldet, dass ein Großteil der achtzehn teilnehmenden Teams weiblich war, eine deutlich geringere Anzahl bestand aus Open Teams (gemischte Teams, die nicht die geforderte Mindestanzahl an weiblichen Paddlern haben) und nur zwei Mixed Teams hatten sich angemeldet, die Ungarn und wir.
Wir nutzten unsere Vorläufe also zum Erlernen der für uns ungewohnten Technik. Dazu gehörte auch, dass wir mit steigenden Temperaturen unser Drachenboot, das mit seinen dünnen Kufen ins Eis einzusinken drohte, des Öfteren anschieben mussten, um von der Stelle zu kommen. Wie viele steigen aus, welche Positionen und wie schnell kommen sie wieder ins Boot? Wie lange darf man neben seinem eigenen Boot herlaufen, ohne das eine Disqualifikation droht? Muss der Steuermann überhaupt mit an Bord sein oder reicht es, wenn er nur die Hand am Steuer hat? All dies konnten wir ausgiebig und ungestraft ausprobieren, damit wir dann in unseren Finalläufen das bestmögliche Ergebnis erreichen würden.
Grundsätzlich schien die Rennleitung gewillt, alle möglichen Tricks und Kniffe zu erlauben, die die Boote nur irgendwie in Bewegung hielten, was gegen Nachmittag zu einer echten Herausforderung wurde, denn bei um die 10°C Lufttemperatur verflüssigte sich die Eisschicht auf dem See zusehends. Als wir um 15:30 Uhr zu unserem Finale an den Start gingen, hatten wir den Dreh raus: Wir waren unsere Bahn vorher abgelaufen und hatten die Ideallinie mit den wenigsten Blasen, Rillen und Buckeln identifiziert. Den Weg zum Start schoben wir unser Boot, denn das spart Kräfte. Wir sprangen erst beim Startkommando ins Boot, damit die Kufen nicht vorher durch unser Gewicht einsinken würden. Unser Steuermann, der laut Regelwerk die ersten Meter anschieben durfte, blieb draußen und lief das ganze Rennen neben dem Boot her. Die Ungarn verließen sich mehr auf ihre starken Paddler und bessere Technik, blieben aber etwa auf der Hälfte der Bahn stecken und damit war uns der Sieg sicher. Unsere Goldmedaille trugen wir an diesem Abend mit Stolz, denn die Lernkurve war eine steile gewesen.
Am nächsten Tag wiederholte sich das Spiel, wieder wurde das Eis, das sich über Nacht gefestigt hatte, durch die Sonne im Laufe des Tages angetaut und die Bahnen wurden langsamer. Die Strecke wurde deswegen von 100 m auf 75 m verkürzt und – wie könnte es anders sein – dieses Mal gewannen die Ungarn im Finale gegen uns. Kurzstrecken sind eben nicht unsere Stärke. Wir freuten uns mit ihnen und gelobten gegenseitig, dass wir bei einer erneuten Auflage eines Eisdrachenbootrennens in den Dolomiten wieder dabei sein würden.
Es war ein rundherum schönes Erlebnis, bei dem, wie es so häufig bei Drachenbootregatten der Fall ist, Menschen unterschiedlicher Nationalitäten, verschiedenen Geschlechts und Alters, mit und ohne körperliche Handicaps, nur zu einem Zweck zusammenkamen und der war, miteinander Spaß zu haben. In diesem Sinne danken wir auch unseren drei kurzfristig rekrutierten Gastpaddlern aus England und freuen uns auf ein Wiedersehen mit ihnen im Mai beim MMC in Frankfurt.
Silke Wolf